In Ihren Adern fließt grünes Blut…
Ostseezeitung 2003
In Mecklenburg-Vorpommern fehlen 15 000 bis 20 000 kleine und mittlere Betriebe. Gründermentalität ist im Land wenig ausgeprägt. Auf der anderen Seite gibt es Betriebe, die über Generationen hinweg erfolgreich geführt werden. Die Selbstständigkeit ist hier selbstverständlich. OZ stellt in einer Serie Unternehmerfamilien vor, deren Geschichten anderen Mut machen können, eine eigene Existenz aufzubauen. Heute: Gärtnerdynastie Evert Rostock/Lietzow
Rostock/Rügen (OZ) Wer sich mit Dierk Evert im Rhododendron-Hain der Internationalen Gartenschau (IGA) verabredet, muss Zeit mitbringen. Der 55-Jährige bleibt vor vielen der 1500 Alpenrosen-Gewächse stehen, kennt bei fast allen den Lieferanten und zu den meisten eine Geschichte. „Diese stammen von der Firma Seidel in Grüngräbchen bei Dresden, die einst Hofgärtnerei in Sachsen war“, weiß Evert, „dort wurde vor etwa 200 Jahren die deutsche Rhododendronzucht begründet“.
Wenn der Mann mit dem sorgsam gestutzten Bart erzählt, sieht man die Büsche blühen – rosa, weinrot, weiß. Nimmt den Duft wahr, obwohl die Blüte längst vorbei ist. Der kleine Park am Warnowufer ist Everts Baby, der Gartenarchitekt von der Insel Rügen hat ihn geplant.
In seinen Adern fließt grünes Blut. Geht er durch seine Geburtsstadt Rostock, trifft er überall auf die Spuren seiner Vorfahren. Im Komponistenviertel, am Ostseestadion, in der Südstadt. Überall hat sein Vater, Friedrich-Karl Evert, Grünanlagen geplant. „Ich erkenne sofort, wo er gewirkt hat“, sagt Sohn Dierk. Und gerät ins Schwärmen. Drei Birken in ein Pflanzloch, das sei die Handschrift von F. K. Evert. „Die Birke ist die Braut der Landschaft“, habe der Vater immer gesagt. Sie bringe das Weiche in die Landschaft, das Mädchenhafte.
Begründet wurde die grüne Familientradition aber schon von Großvater Friedrich Evert, der 1892 im heutigen Rostocker Stadtteil Gehlsdorf eine Gärtnerei mit Blumengeschäft in der Innenstadt eingerichtet hatte. Der Onkel Hans Evert übernahm später den Betrieb, Cousine Dorothea führte Geschäft und Zierpflanzengärtnerei bis zum 100-jährigen Firmenjubiläum 1992 – dem Jahr, in dem Dierk sich als freier Garten- und Landschaftsarchitekt auf Rügen niederließ.
Dierk war das unter den vier Evert-Kindern, das die grüne Liebe erbte. Die Geschwister wurden Konstrukteurin, Bauingenieur, Meeresbiologe. „Schon als Achtjähriger stiefelte ich mit dem Vater über eine Müllhalde im Küstenwald von Graal-Müritz.“ Dort, wo heute der Rhododendronpark in jedem Frühjahr seine Blütenpracht entfaltet – Vater Evert hat ihn entworfen und Mitte der 50er-Jahre angelegt.
Als großes Glück empfand Sohn Dierk es deshalb, dass die IGA-Gesellschaft gerade ihn mit dem Rhododendron-Hain auf der Blumen-Expo betraute. „Etwa Erhabenes, Vornehmes“, verbindet er mit den immergrünen Moorbeetpflanzen. In den Gärten edler Villen hätten sie nie gefehlt.
Auch heute haben die ursprünglich aus Hochgebirgen wie den Alpen und dem Kaukasus stammenden Sträucher viele Liebhaber. „Gefragt sind jetzt aber eher niedrigere Sorten, die Grundstücke sind ja auch meist kleiner“, meint der temperamentvolle Familienvater.
Und beugt sich zu einem dieser kleineren Büsche hinunter, zupft an einem Blatt. Liebevoll. Er trägt den Namen des Vaters: F. K. Evert. Europas größte Baumschule, die Firma Bruhns in Bad Zwischenahn bei Bremen, hatte sie 1990 nach dem damals 88-jährigen Mecklenburger Landschaftsgärtner benannt, eine große Ehrung kurz vor dessen Tod.
Nicht nur die Liebe zum Rhododendron, auch den Hang zur Selbstständigkeit erbte Dierk Evert von seinem Vater. Der war Gartenarchitekt, besaß aber auch mit Mutter Barbara (87), einer professionellen Staudengärtnerin, einen Baumschul- und Gartenbaubetrieb. Zu DDR-Zeiten wurden in der grünen Zunft junge Freiberufler jedoch nicht mehr zugelassen. Die Stationen von Evert junior – nach dem Studium in Berlin und Dresden – waren deshalb Planungsämter und Genossenschafts-Gärtnereien, in Frankfurt/Oder und Bergen. Und Neumünster. Zehn Jahre lebte er im Westen. Der Traum von der eigenen Firma erfüllte sich allerdings erst, als er 1992 nach Rügen zurück kam. Weil die Liebe zur Insel stark war, stärker als Angebote aus München zum Beispiel.
Seitdem hinterlässt der Landschaftsarchitekt Spuren in der Region. Im Kurpark Binz, am Barther Bibelzentrum, an Schulen in Rostock, Grimmen, Bergen. Auch an Hotels in Potsdam, Travemünde, sogar in den Niederlanden.
Aufs Gärtnern versteht sich übrigens auch Everts Frau Petra, eine gelernte Kindergärtnerin. „Das hat auch etwas mit Fürsorge zu tun“, schätzt der Ehemann ihre Talente. In Lietzow betreibt Petra Evert einen eigenen Gartenbaubetrieb. Mit vielen Rosen, alten Apfelsorten und vielen Stauden, die ihr Mann besonders liebt.
Ob ihre Kinder Johannes und Anne-Christin einmal die Familientradition fortführen, ist ungewiss. „Als Kind gab es für mich eigentlich nie etwas anderes“, erzählt die 19-Jährige, die ein druckfrisches Abitur in der Tasche hat. „Doch es wird schwer, aus Papas Schatten herauszutreten“, weiß sie inzwischen. Deshalb will sie zunächst mal ins Ausland, Sprachen lernen. Die junge Frau ist froh, dass die Eltern sie nicht drängen. „Obwohl ich weiß, wie sehr sie sich freuen würden, wenn ich mich für ihr Fach entscheide.“
Dierk Evert hält es da mit einer Weisheit aus der Familie seines alten Lehrers Karl Förster, dem berühmten Potsdamer Staudengärtner, bei dem er einst als junger Abiturient ein praktisches Jahr absolvierte. Försters Vater war es im Grunde gleich, was seine Kinder werden wollten. Er forderte aber, dass sie das, was sie tun, mit Entschiedenheit und ganzer Kraft tun sollten. Evert: „Nur dann kann man erfolgreich sein.“
ELKE EHLERS